Hamburg, Gaußplatz – 09.06.2017 

In diesem Tagebuch geht es ja häufig weniger um die Band an sich, sondern darum, bisken die Umstände zu schildern. Vor Abzockern oder lieblosen Veranstalter*innen zu warnen. Aber auch im Gegenteil Freiräume zu feiern, die eine Alternative zum betongefickten Mainstream zeigen. Der Gaußplatz ist einer davon! 25 Jahre lang einen solchen Freiraum zu erhalten und zu verteidigen – das darf mensch mal würdigen und „auf die nächsten 250 Jahre“ rufen!

Als Strecker und ich auf dem Gaußplatz in Altona (hinter der Fabrik) eintrudeln, regnet es hartnäckig. Die Bewohner*innen, Organisateure und die Horden trinkender Punker*innen stört das null. Überall herrscht emsige Betriebsamkeit und an allen Ecken und Enden werden Dinge hin- und hergetragen. Wahrscheinlich räumt Punk 2 häufig einfach die Sache an den Ort zurück, von dem Punk 1 sie gerade hergeholt hat, aber hey, hier ist Bewegung in der Sache. Die Wagen sind mit Blumen geschmückt, es gibt selbstgezimmerte Stände mit Bowle, verschiedenen Snacks und einen tollen überdachten Tresen, welcher direkt gegenüber der ebenfalls liebevoll gebastelten Holzbühne steht. 


Bereits jetzt trudeln auch Bekannte aus allen Himmelsrichtungen ein, ich erwähne hier stellvertretend einfach mal Ainstain aus Berlin. Noch vor den Restvladis kommen die RESTMENSCHen – zu Fuß und nahezu equipmentfrei. Drummer Philipp gesteht unserem Eric später, dass er sogar seine Sticks vergessen habe. Find ich total nachvollziehbar, würd ich auch so machen, wenn ich nicht, naja, „Sänger“ wär und damit eh schon nichts außer Kleidung und guter Laune mitbringen muss.

Irgendwie wämst uns Wurzel am Mischpult (Danke!) einen erbaulichen Sound zurecht und ab geht die vladiistische Sause. Toll: Kurz vor unserem Auftritt bricht die Sonne hervor und bleibt denn auch gleich. Endlich Sommer! Endlich Festival! Vor der Bühne ist dennoch eine respekteinflößende Schlammpfütze entstanden. In das Ding stürzen sich Hunde, Punker und sonstige Besucher*innen. Eine Frau, die eh schon aussieht wie aus Mad Max 3 entsprungen, springt mit derart viel Wucht in den Modder, dass Andi und ich bald von Kopf bis Fuß besprenkelt sind. So gefällt mir das, so komme ich in Fahrt. Übermütig springe ich unserem wackeren Bassisten auf den Fuß – ohne zu merken, dass ihm ob seiner dünnen Turnschühchen den Nagel ins Fleisch treibe und Andi mit wutverzerrter Fratze spürt, wie sich erwähnter Schuh mit warmer Suppe füllt. Bonded by blood? Als ich ganz am Bühnenrand stehe, trifft mich der – natürlich völlig gerechtfertigte – Tritt in den Arsch und ich segle gen Matschkuhle. Doch ein Wolter hat neun Leben! Eric schildert später, dass ich mich mit katzenartiger Schnelligkeit anhand einer Kralle am Querbalken des Vordachs festhalte – um dann wie ein Affe um den Balken zu schnellen und unverschlammt wieder auf der Bühne zu landen. Sensationeller Move! Ich bin selbst überrascht. Und zudem sind Andi und ich quitt, hat der Dreher doch einen schönen Kratzer samt Bluterguss hinterlassen. Passiert. Was war noch? Ein Punker hatte mich vorhin mit den Worten „Du siehst aus wie meine Mudder!“ begrüßt, was natürlich auf der Bühne gewürdigt wird – der Mann wird zu seiner attraktiven Erzeugerin beglückwünscht. 


Nun können wir uns dem Genuss nach dem Genuss zu wenden. Es gibt lecker Suppe (heiß!), noch mehr Bekannte, mit RESTMENSCH (wie immer böse ballernder Punkrock, rüpelig rausgekotzt und mit super Texten), DEVIL’S DAY-OFF (unsere Gastgeber rocken, bis die Schlammpfütze trocken ist – HELLACOPTERS meets AC/DC meets KISS meets Zeitlosigkeit) und den 1977 (!) gegründeten RAZORS (richtig guter Auftritt!) ein grandioses Highlight nach dem anderen. 


Herrliches Ding – wir werden sogar dann wiederkommen, wenn wir gar nicht noch einmal eingeladen werden sollten! Gaußies olé!